Kohlhiesels Töchter (D 1920) R: Ernst Lubitsch
Das erste Mal sah ich diese deftige Stummfilmkomödie in einem alten, restaurierten Tanzsaal in Berlin-Kreuzberg. Dort begleitete ein kleines Salon-Orchester mal mit Caféhausmusik, mal mit Ragtime diese frühe Lubitsch-Komödie, der noch nichts anzusehen ist vom verfeinerten Stil seiner späteren Filme und dem berühmten Lubitsch-Touch (alles andeuten und nichts aussprechen).
„Kohlhiesels Töchter“ sprechen alles aus, oder besser gesagt: sie schauspielern hemmungslos drauf los. Dabei liegt der Hauptgag des Films darin, dass die zänkische Liesel und die sanfte Tochter Gretel des Gastwirts Kohlhiesel von Henny Porten in einer Doppelrolle gespielt werden. Emil Jannings als einer der Freier ist laut Frieda Grafe „ein Trumm wie Oliver Hardy“. Dabei darf man zweifeln, ob Emil Jannings zur Entstehungszeit des Films das berühmte amerikanische Duo überhaupt kannte.
Ausgerechnet den Trampel möchte der Wirt zuerst verheiraten, denn ihm ist klar, dass er seine sanftmütige Tochter jederzeit unter die Haube bringen kann. Die Freier, und zwar alle beide, möchten jedoch die sanfte Gretel. Da ist guter Rat teuer; auch bei den beiden Freiern. Dann hat der eine, Seppl, eine Idee und rät dem Xaver, die Liesel, also die zänkische, nur zum Vorwand zu heiraten, sich später scheiden zu lassen und dann schlussendlich doch noch seine Wunschfrau, also die Gretel zu bekommen.
Der Zuschauer ahnt, was kommen muss, und prompt gehen die Verwicklungen so richtig los … Wer will, kann mit Lubitsch diese Bauernkomödie auch gerne als Shakepeare-Adaptation sehen, und zwar natürlich als eine Adaptation „Der Widerspenstigen Zähmung“.
Über die Frische und die oft schon fast rabiate Direktheit des Regisseurs und seines Filmes kann man auch heute nur noch staunen.
Josef Jünger
Die zugegebenermaßen sehr kurze Einführung hielt ich bei einer Veranstaltung des damaligen Kommunalen Kinos Karlsruhe e. V. in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre.
In der Retrospektive erscheint es mir nicht als zufällig, dass ich die Aufführung im Ballsaal in der Naunynstraße in Berlin-Kreuzberg erwähne. Tatsächlich ist mir diese Aufführung in sehr guter Erinnerung geblieben, denn der Saal atmete immer noch die Atmosphäre der zwanziger Jahre; man fühlte sich wie in einer Zeitreise zurückversetzt. Vielleicht hat auch gerade die Aufführung in Berlin dazu beigetragen, dass ich selbst mich mit selbst verantworteten Stummfilmaufführungen auf Zeitreise begeben wollte. Dabei war die Musik in Berlin nicht konventionell, sondern wechselte zwischen verschiedenen Stilen und aktualisierte damit den Film weg von dem Folklore-Ambiente, das dem immer wieder vom Film aufgegriffenen Stoff anhaftet. Von allen Versionen der „Kohlhiesels Töchter“ ist mir selbstverständlich die stumme die liebste. (2020)
