Im Gruselkabinett

Am Dienstag, 7. November 2017 fand im Landesmedienzentrum in der Moltkestraße eine denkwürdige Vorführung des wohl berühmtesten deutschen Stummfilms „ Das Cabinet des Dr. Caligari“ statt. Leider habe ich der Vorführung nicht beigewohnt, denn es war sicher ein einzigartiges Erlebnis. Leser meiner Texte wissen vielleicht, dass es nicht unbedingt ein Lob ist, wenn ich eine Veranstaltung als „einzigartig“ bezeichne, sondern dass es sich vielleicht sogar um bitterböse Ironie handeln könnte.

Aber  fangen wir von vorne: Holger Ebeling, Pianist, der in den Anfangsjahren des Stummfilmfestivals Karlsruhe dort häufige Engagements hatte, bezeichnet den „Caligari“ als „Stimmungsfilm“. Was kann denn damit gemeint sein? Später führt er aus, die Musiker wollten bei der Vorführung die Stimmung im Publikum aufgreifen. Aha, nun man könnte sagen, jeder Film oder auch jedes Kunstwerk erzeugt vermutlich Stimmungen bei den Rezipienten. Dann ist der Begriff „Stimmungsfilm“ ziemlich beliebig. Das ist aber jetzt mal zweitrangig. Mich hätte eher interessiert, wie die Musiker die Stimmung im Raum festgestellt haben. Wie soll ich mir das praktisch vorstellen?  Musiker pausiert und horcht ins Publikum? Gut, manchmal „spürt“ man sozusagen die Stimmung im Saal, aber ich finde, offen gesagt, ich finde dieses künstlerische Konzept ziemlich fragwürdig und problematisch in der praktischen Umsetzung.

Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir einen Einwand gegen den Begriff „Vertonung von Stummfilmen“.  Der Begriff legt nahe, dass der Film, also ein Bildmedium, in Töne verwandelt wird. Das ist nicht möglich, und auch nicht Aufgabe einer musikalischen Stummfilmbegleitung. Die musikalische Begleitung eines Stummfilmes hat eine dramaturgische Aufgabe: sie soll dem Publikum eine Hilfestellung leisten, dramaturgische Entwicklungen ggf. antizipieren und unterstützen.

Aber vermutlich wollten die beiden Musiker und der  Rezitator Christoph Köhler etwas ganz Besonderes wagen. Der zweite Musiker war im übrigen Elmar Klahn, der Violine und andere Instrumente spielte; auch er früher mal beim Stummfilmfestival Karlsruhe engagiert, solange es noch den früheren Namen „Karlsruher Stummfilmtage“ hatte.

Und nun zu Christoph Köhler, der tatschlich die Zwischentitel dem wohl staunenden Publikum vorlas, obwohl sie doch groß auf der Leinwand zu sehen sind. Handelte es sich etwa um eine Sondervorführung für Karlsruher Analphabeten? In der Ankündigung steht nichts davon. Und dann las Christoph Köhler offenbar noch weitere Texte, die zum Film gepasst haben sollen, während der Vorführung laut vor.  Vehementer kann man eine Filmvorführung wohl nicht stören.  Vermutlich sollten durch die laute Lektüre die Stimmungen im Raum noch verstärkt werden.

Aber was drückt sich hier letztlich aus? Meiner Ansicht nach ein ganz starkes Misstrauen gegenüber dem Bild. Es ist ja bekannt, dass die Anthroposophie, der Köhler unseres Wissens zugeneigt ist, Bildern grundsätzlich misstraut, weil sie eben nicht die vermeintliche Sicherheit und Genauigkeit des „Wortes“ liefern könnten,  sondern beliebig wären. Ganz schlimm. Und genau genommen, ist es nicht nur Misstrauen, es handelt sich um eine gründliche Verachtung des Bildes und des Kinos als populäre Kunst überhaupt.

Und so bin ich letztlich froh, dass ich diese Vergewaltigung eines Stummfilmklassikers durch drei künstlerische Dilettanten versäumt habe.