Die neue Filmkonzeption des Landes Baden-Württemberg aus Karlsruher Sicht (unter besonderer Berücksichtigung der Karlsruher Filmfestivals)

Im Herbst letzten Jahres erschien die neue Filmkonzeption des Landes Baden-Württemberg. Auf gut 100 Seiten wird die aktuelle Situation analysiert, und es werden Weichen für die Zukunft gestellt.

Bei der Erstellung der Konzeption stand dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst ein Beirat mit mehreren Fachleuten zur Seite, darunter z. B. Susanne Marschall,  Professorin für Film- und Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, die zusammen mit den Nachwuchswissenschaftlern und –wissenschaftlerinnen ihres Instituts an allen Foren teilnahm.

Die Branche partizipierte an dem Prozess insbesondere in Foren, die die verschiedenen Themen der Filmkonzeption diskutierten. An dieser Stelle muss ich einen kleinen Wermutstropfen in die Darstellung einfließen lassen. So wurde zwar ein Forum für die Filmfestivals veranstaltet, die im Land Baden-Württemberg stattfinden, aber es wurden nur die Festivals eingeladen, die direkt aus dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gefördert werden. Das Stummfilmfestival Karlsruhe, das nicht direkt aus dem Ministerium gefördert wird, sondern via Kooperation mit der Kinemathek Karlsruhe durch die Meden- und Filmgesellschaft BaWü (MFG),  war nicht eingeladen, und die beiden anderen Karlsruher Filmfestivals meines Wissens ebenfalls nicht.

Ferner wurde ein Forum für die Kinos veranstaltet, und es gab auch einige wenige Plätze für die Kommunalen Kinos des Landes BaWü, die in einem Landesverband zusammengeschlossen sind. Das Stummfilmfestival Karlsruhe ist zwar Mitglied im Landesverband der Kommunalen Kinos, aber auch zu diesem Forum wurde es nicht eingeladen, weil es nun mal kein Kino ist. So fiel das Stummfilmfestivals zwischen alle Stühle und konnte nie bei einem Forum auf sich aufmerksam machen.

Gleich das erste Kapitel der neuen Filmkonzeption widmet sich den „Zukunftsthemen für Film und Medien in Baden-Württemberg“.  Welche Themen damit gemeint sind, ist leicht an den Unterüberschriften abzulesen: es geht um „Geschlechtergerechtigkeit und Diversität“, um „Ökologische“ und um „Soziale Nachhaltigkeit“ und schließlich auch um „Film- und Medienbildung“.

Nach meiner Ansicht kommt die Filmkonzeption hier kaum über relativ allgemein gehaltene Floskeln hinaus. Sicher, die Notwendigkeit, Film- und Medienbildung zu verstärken, wird betont. Aber dass zum Beispiel in der Studienordnung für Gymnasiallehrer der Fächer Deutsch oder auch Bildende Kunst der Besuch eines filmwissenschaftlichen Seminars festgeschrieben ist, habe ich bei einem kursorischen Blick in die  Studienordnung der Universität Heidelberg nicht feststellen können.

Für die Verstärkung filmwissenschaftlicher Bildung an den Schulen haben sich insbesondere die Nachwuchswissenschaftler und –wissenschaftlerinnen aus dem Institut von Professorin Dr. Susanne Marschall ausgesprochen. Das ist erfreulich – noch erfreulicher hätte ich es gefunden, den Begriff der kulturellen Nachhaltigkeit in die Filmkonzeption aufzunehmen und diesen Begriff auch mit Inhalt zu füllen.

Kulturelle Nachhaltigkeit sollte ausgehen von einer filmwissenschaftlichen Ausbildung, die historische Entwicklungen des Mediums aufarbeitet und damit Fähigkeiten an die Hand gibt, aus wissenschaftlicher Sicht die aktuelle und künftige Entwicklung des Films und des gesamten kulturellen Systems „Kino“ verstehen zu können. Denn leider ist es gerade die aktuelle Situation der Kinos, des ganzen Systems „Kino“, die eine intensive Beschäftigung mit der Filmgeschichte fast unmöglich macht, weil es praktisch keine Kinos mehr gibt, die das sog. Repertoire spielen, also einen breiten Kanon von Filmen, die früher mal als „Klassiker“ galten. Die Kommunalen Kinos versuchen es mehr, als dass es ihnen tatsächlich gelingt, mittels ihrer Programme einen Zugang zur Filmgeschichte zu ermöglichen. Unsere jungen Studierenden an den Filmhochschulen kommen oft ohne jede Kenntnis der Filmgeschichte an die Hochschulen, und so sehen auch viele ihrer Filme aus. International wird die Mittelmäßigkeit des deutschen Films (ich meine beileibe nicht Baden-Württemberg allein, sondern das ganze Land) belächelt. Sicher wird die Beschäftigung allein mit der Filmgeschichte noch keine Supertalente hervorbringen. Aber sie könnte zumindest nicht nur bei Filmstudierenden sondern auch beim Publikum die Liebe zum Kino wecken und vielleicht auch erhalten. Das wäre dann gelungene kulturelle Nachhaltigkeit.

Ich bin etwas von der Darstellung der Filmkonzeption abgekommen. Der Text befasst sich nach den Zukunftsthemen gleich mit der Rolle der Medien- und  Filmgesellschaft Baden-Württemberg. Die MFG ist eine gemeinnützige GmbH, deren Gesellschafter zu gleichen Teilen das Land Baden-Württemberg und der SWR sind. Dadurch ist auch gleich eine der wichtigsten Aufgaben mitgenannt: die Finanzierung von Filmproduktionen, die von und im Umfeld des SWR realisiert werden. Durch die Gründung der MFG wurde eine Teil der Aufgaben ausgelagert, die früher durch zwei Ministerien wahrgenommen wurden (Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie das Staatsministerium).  Nur die Förderung der Filmfestivals in Baden-Württemberg verblieb zuerst bei den beiden Ministerien, was eine Zeit lang immer wieder zu Kompetenzrangeleien zwischen den beiden Ministerien führte, bis dann die Förderung der Filmfestivals ganz auf das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst überging. Allerdings fördert das Ministerium nur die größeren Filmfestivals, und die MFG überhaupt keine, ausser diese gehen, wie schon angesprochen, eine Kooperation mit einem Kommunalen Kino ein und profitieren dann von der Komplementärfördung für Kommunale Kinos, die tatsächlich wie in der Filmkonzeption durchaus zu recht hervorgehoben in Deutschland praktisch einzigartig ist.

Da die MFG also keine Filmfestivals direkt fördert, das Ministerium keine kleinen Filmfestivals fördern will, kam es im Bereich der Filmfestivals in den letzten Jahren nur zu Entwicklungen, die praktisch im Einklang mit den Stuttgarter Interessen standen. Was das für Karlsruhe bedeutet, möchte ich im Folgenden darstellen.

Vorher möchte ich noch kurz auf die Kapitel zur Produktionsförderung von Spiel-, Dokumentarfilmen und Computerspielen der Filmkonzeption eingehen. In Karlsruhe befinden sich keine namhaften Filmproduktionsfirmen, und die nationale oder internationale Bedeutung der in Stuttgart vorhandenen Strukturen sollte man nicht überschätzen. Einen großen und verdienten Ruf haben jedoch die Einrichtungen und Firmen, die in Stuttgart und im Umkreis der Filmakademie Ludwigsburg entstanden sind und die sich mit der Produktion von Animationsfilmen beschäftigen. Sie haben zu Recht internationale Preise erhalten und spielen auch international eine bedeutende Rolle. Merkwürdigerweise kritisiert jedoch der Landesrechnungshof einige der existierenden Förderinstrumente. Allerdings betont die Filmkonzeption – und damit das Ministerium – die Relevanz dieser Förderstrukturen und möchte sie entgegen des Rates des Landesrechnungshofes  beibehalten.

Auch die Kinoförderung der MFG möchte ich nur kurz streifen. Zur Unterstützung kommerzieller Kinobetriebe vergibt die MFG Kinoprogrammprämien. Ferner erhalten in Baden-Württemberg ansässige Filmverleihe Vertriebsförderungen für die Filme, die sie in den Verleih bringen.

Um welche Summen handelt es sich in diesem Kontext? Laut einer Aufstellung der FilmFörderAnstalt (FFA), die mir freundlicherweise ein Mitarbeiter der Stuttgarter Film & Medien Festival GmbH zur Verfügung gestellt hat, vergab die MFG im Jahr 2019  Mittel in Höhe von insgesamt 13,85 Millionen Euro; zum Vergleich: in Bayern waren es 42,03 Millionen; in NRW 40,26 Millionen; in Hamburg 12,68 Millionen Euro. Da nimmt sich Baden-Württemberg etwas bescheiden aus; nicht nur, wenn man die Wirtschaftskraft dieses Landes bedenkt.

Kommen wir jetzt also zur Förderung der  – zugegebenermaßen – mehro der wenigen kleinen Filmfestivals in Karlsruhe. Kurz gesagt: sie werden alle  in der neuen Filmkonzeption des Landes überhaupt nicht erwähnt. … tief durchatmen …  Weder die Independent Days noch das dokka-Festival und genausowenig das Stummfilmfestival Karlsruhe – und auch das Beyond-Festival, für mich ein eigenwillige Mischung zwischen Filmfestival und Symposium, alle, alle fehlen in der Filmkonzeption des Landes Baden-Württemberg.

Es sollte durchaus als ein Symptom der Gerechtigkeit verstanden werden, denke zumindest ich, dass kein einziges dieser Filmfestivals, die wir in Karlsruhe haben, der neuen Filmkonzeption eine Nennung wert ist. Den hätte die Filmkonzeption nur eines der Filmfestivals dokumentiert, wäre das einer Herabsetzung der anderen gleichgekommen. So also erwähnt die Filmkonzeption gar keines und lässt in diesem Sinne Gerechtigkeit walten.

Das Land fördert meines Wissens sowieso keines der Filmfestivals direkt. Das dokka-Festival und das Stummfilmfestival erhalten eine Komplementärförderung durch die MFG, weil sie in Kooperation mit der Kinemathek Karlsruhe, dem kommunalen Kino, stattfinden. Die Independent Days profitieren meines Wissens nur indirekt von Mitteln der MFG. Alle drei Festivals werden jedoch von der Stadt Karlsruhe unterstützt. Wie sich das beim Beyond-Festival genau verhält, ist mir im Detail nicht bekannt. Es spielt hier auch keine entscheidende Rolle. Jedenfalls wird es von der Filmkonzeption genauso ignoriert wie die drei anderen Filmfestivals.

Natürlich ist das alles schmerzhaft für die Seele des Karlsruher Filmfans. Und die Nicht-Erwähnung der Festivals konfrontiert uns schonungslos mit der Realität der „Filmstadt Karlsruhe“, einer Bezeichnung, die seit einiger Zeit von Kulturpolitikern in und außerhalb des Rathauses gelegentlich benutzt wird, über die sich jedoch die Badischen Neuesten Nachrichten gelegentlich schon mal lustig gemacht haben. Auch wenn ich es gerne anders hätte: es entspricht der Wahrheit und der harten Wirklichkeit – Karlsruhe ist nun mal keine Filmstadt. Wenn Karlsruhe in einem kulturellen Bereich sehr hoch dasteht, dann ist es die Domäne der E-Musik. Karlsruhe war schon im 19. Jahrhundert eine Musikstadt, und Richard Wagner hat sich bekanntlich ernsthaft mit dem Gedanken getragen und sich die Frage gestellt, ob das Haus, das heute in Bayreuth steht, in Karlsruhe angesiedelt werden sollte. Brahms ließ hier eine seiner Symphonien uraufführen (siehe die Inschrift am Gebäude der Deutschen Bank in der Kaiserstraße). Karlsruhe hat eine hoch angesehene Hochschule für Musik, eine Richard-Wagner-Gesellschaft, die eher im Verborgenen wirkt und zahlreiche Stiftungen, die den Nachwuchs im musikalischen Bereich fördern. Film und Kino werden in Karlsruhe nur von einer einzigen Stiftung gefördert: der Georg-Fricker-Stiftunng.  Aber diese Stiftung kann gemäß ihrer Satzung nur Veranstaltungen und sonstige Aktivitäten in der Schauburg fördern. Eine Stiftung, die Kino und Film uneingeschränkt unterstützt, gibt es nicht  – aber zumindest in dieser Beziehung steht die ehemalige Residenzstadt nicht alleine da – dieses Merkmal hat Karlsruhe mit vielen anderen deutschen Städten gemeinsam.

Andererseits gibt es im Bereich der Musik eine vielfältige Förderung durch die Stadt Karlsruhe selbst. Als am Anfang ihrer Tätigkeit, also vor etlichen Jahren, die jetzt scheidende Leiterin des Kulturamtes, Dr. Susanne Asche, den Gedanken äußerte, man sollte über Kürzungsmaßnahmen im Bereich der E-Musik nachdenken, ergoß sich in der Lokalzeitung in Leserbriefen das über sie, was man heute im Internet einen „Shitstorm“ nennt. Die Leiterin des Kulturamtes hat es nie mehr gewagt, eine entsprechende Äußerung zu wiederholen …

Nun, ziehen wir ein Fazit, das wir jedoch kurz halten möchten. Rufen wir uns für den Befund unserer Überlegungen ein Sprichwort in Erinnerung, das Frank Mentrup, der Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe, bei Eröffnungen der Independent Days schon mal sagte: Das Leben ohne dieses Filmfestival sei zwar möglich, aber nicht sinnvoll – ich denke, in Stuttgart ist man vermutlich der Ansicht, dass das Leben ohne die Karlsruher Filmfestivals nicht nur möglich, sondern durchaus auch sinnvoll sein kann.

Felix Schaulust

 

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