Ein roter Teppich mit Stars, die ich aber kaum kenne, Kameras unzähliger Fotografen; die Bevölkerung der Stadt als dankbare Statisterie und Gratis-Kulisse auf der Straße vor dem National-Theater, in dem gleich die Eröffnung des Filmfestivals über die Bühne gehen wird; die Straße vor dem Theater von der Polizei für den Autoverkehr abgeriegelt; jede Menge Polizisten überall – nein, wir sind nicht in Cannes sondern in Sarajewo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina.
Der Theatereingang mit dem roten Teppich davor wird mit Popmusik beschallt und von Gogo-Girls umrahmt; Festival-Inszenierung allenthalben. Ein Filmprogramm, das mehr bietet, als sich der einzelne Zuschauer anschauen kann. Das Festival protzt und trägt den Anspruch vor sich her, das bedeutendste Filmfestival auf dem Balkan zu sein oder noch werden zu wollen. Ich kann es nicht genau beurteilen, ob man z. B. Thessaloniki schon abgehängt hat oder ob das ein Wunschtraum ist.
In den Pausen zwischen den Filmen gehe ich spazieren. Sarajewo ist eine Stadt, in der sich Ost und West begegnen, oder muss man sagen: sie ist in zwei Hälften geteilt, die nicht unterschiedlicher sein können? Da ist der östlich geprägte Teil, der noch an die türkische Zeit erinnert mit Moscheen und gedeckten Bazaren, Straßen, in denen sich ein Laden an den anderen reiht, in Häusern, die fast immer nur ein Geschoß haben. An das sehr preiswerte Hotel, in dem ich untergebracht bin, möchte mich nicht mehr gerne erinnern. Der niedrige Preis hat seinen „Preis“, muss man leider sagen. Die Zimmer sind architektonisch vollkommen vermurkst; nach Tagen entdecke ich hinter einem Schrank den Hauptschalter für die Lampen im Zimmer. Das Handtuch, ein einziges für eine Woche, muffelt nach drei Tagen. Das Hotel liegt in der türkisch geprägten Altstadt, wo die Wasserversorgung unter ständigen Rohrbrüchen leidet. So auch als ich ankam. An der Rezeption stehen einige Österreicher, die seit zwei Tagen nicht geduscht haben. Als ich spätabends aus dem Kino komme, wird in der Straße hektisch gearbeitet; in der Nachr darauf konnten die Arbeiten offenbar beendet werden, denn dann gab es am Morgen danach endlich wieder Wasser. Tagsüber waren Reparaturarbeiten wegen des starken Autoverkehrs unmöglich.
In der Nähe meines Hotels befand sich ein offenbar nur von strenggläubigen Muslimen besuchtes Hotel, das ich an meinem Ankunftstag mit meinem verwechselt hatte. Selten wurde ich so verwundert angestarrt – mit Blicken, die sagen wollten: was will denn der hier? Hat der sich verirrt? Ja, hatte ich. Der junge Mann an der Rezeption sagte mir schnell und freundlich, wo mein Hotel sei. Schon am Flughafen waren mir die vielen mehr oder weniger stark verschleierten aber z. T. mit deftigen Make-ups herausgeputzten muslimischen Frauen aufgefallen, und zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass es Direktflüge von Sarajewo nach Flughäfen in Saudi-Arabien gab.
Verließ ich auf dem Weg vom Hotel zum Nationaltheater dann die Altstadt, kam ich in den „westlich“ geprägten Teil; die „Grenze“ markiert ziemlich genau das wohl beste und teuerste Hotel der Stadt, das sich vermutlich programmatisch „Hotel Europa“ nennt. Damit allen klar ist, wohin man in Bosnien-Herzegowina gehört oder gehören will. Die Straße vom Hotel Europa zum Nationaltheater verwandelte sich in den Abendstunden in eine Party-Zone. Junge Leute überall, es ging ziemlich wild und lebhaft zu. Siehe auch das Video.
In einer der Hauptstraßen entdeckte ich ein Jugendstil-Gebäude mit der Aufschrift „1902 – 2002“. Das Gebäude hat offenbar auch ein sehr altes Kino beherbergt, denn es nennt sich „Cinema Imperial“. Das Kino jedoch ist geschlossen; einige weitere Aufschriften verraten, dass in diesem Gebäude ein Verein der kroatischen Bevölkerung von Sarajewo sein Domizil hat.
Erschreckend waren für mich die untrüglichen Hinterlassenschaften des Krieges. Einschusslöcher in den Häuserwänden überall; offenbar hat es nirgends einen sicheren Platz gegeben. Schon auf der Busfahrt von Dubrovnik nach Sarajewo zeugten die vielen ausgebrannten Häuser vor allem außerhalb der eigentlichen Ortschaften von der Vergangenheit.
Filme gab es selbstverständlich auch; davon in einem gesonderten Beitrag. Aus dem Programm der Berlinale kam die rumänische-deutsche Co-Produktion „Touch me not“, die auch in Sarajewo etliche Besucher und Besucherinnen aus dem Kino trieb. Die einzelnen Tage waren den verschiedenen Ländern des Balkan gewidmet; am rumänischen Tag lief z. B. noch von Radu Jude „I Do Not Care If We Go Down in History as Barbarians“.
Foto: © Josef Jünger
sehr schön gelungen