Film: „I don’t care if we go down in history as Barbarians” von Radu Jude

Beim Festival Sarajewo 2018

„Dealing with the Past“ nannte sich eine Filmreihe des Festivals, die hauptsächlich Dokumentarfilme präsentierte; Filme, die sich mit der leidvollen Geschichte der Balkanländer in der jüngsten Vergangenheit auseinandersetzten, wie z. B. die schweizerisch-deutsch-kroatisch-finnische Coproduktion „Criss the Swiss“ um einen während der Balkankriege unter mysteriösen Umständen getöteten Schweizer Journalisten, aber auch Filme, die weiter in die Vergangenheit ausgriffen, wie z. B. Radu Judes Film „I don’t not care if we go down in history as Barbarians“.

Ich hatte bereits „Criss the Swiss“ gesehen und erwartete nun einen weiteren Dokumentarfilm bei der Aufführung des rumänischen Films. Diese Erwartungshaltung bereitete mir bald einige Schwierigkeiten mit dem Film. Radu Judes Film schildert die Schwierigkeiten einer jungen Regisseurin bei den Proben zu einer etwas exzentrischen Art von Reenactment der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts der rumänischen Geschichte. Der Diktator Ion Antonescu setzte mit einer Rede, die der Film mit seinem Titel zitiert, die rumänische Variante der Judenvernichtung in Gang. Große Teile der Juden der Bukowina wurden ganz einfach in die Wälder Transnistriens und Podoliens deportiert und dort einem elenden Hungertod preisgegeben (die Bukowina ist eine Region östlich der Karpaten; die frühere Hauptstadt der gleichnamigen österreichisch-ungarischen Provinz Czernowitz liegt im nördlichen Teil. Durch den Hitler-Stalin-Pakt wurde der Nordteil der Bukowina der Interessensphäre der Sowjetunion zugerechnet; der südliche Teil blieb bei Rumänien. Heute gehört die Nordbukowina zur Ukraine).

Man musste die rumänische Geschichte gut kennen, um dem Film folgen und die jeweiligen Diskussionen und Debatten zwischen Sympathisanten und Gegnern des Diktators Ion Antonescu verstehen zu können. Insbesondere musste man gut informiert sein über die postkommunistischen Bestrebungen, Antonescu zu rehabilitieren. In Rumänien steht eine Mehrheit Antonescu positiv gegenüber. So nebenbei: Das Programmheft verschweigt verschämt seinen Namen; man möchte offenbar in Sarajewo niemandem, wirklich niemandem, irgendwie weh tun. Einem nicht-rumänischen Zuschauer hilft der Film wenig, das komplexe Verhältnis der rumänischen Gesellschaft und des Staates zu Antonescu zu verstehen, und das wäre auch meine hauptsächliche Kritik an Radu Judes Film. Von einem Dokumentarfilm ist zu erwarten, dass er seine Zuschauer soweit in Kenntnis setzt, dass sie zumindest den Film von innen heraus verstehen; ein darüber hinausgehendes Verständnis muss man nicht unbedingt einfordern.

Das Reenactment ist jedoch  nur eine Ebene des Filmes. Das Privatleben der jungen Regisseurin, die durchaus überzeugend von Ioana Jacob gespielt wird, ist eine weitere, und wie ich finde, in weiten Teilen klischeehafte und damit überflüssige Erzählebene des Films. Ioana Jacob ist vielleicht dem deutschen Publikum durch ihre mittelgroße Rolle in Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ bekannt; sie hat ein Engagement beim Deutschen Staatstheater in Timisoara. Wir dürfen nun der Hauptdarstellerin zusehen, wie sie bevorzugt in der Badewanne liegend über den nächsten Probentag und ihr gesamtes Projekt nachdenkt. Gelegentlich taucht ein Mann auf, ein Pilot (Was sonst? Der Mann ist wie gewöhnlich mobil und überall), mit dem sie ein Fickverhältnis hat. Ich möchte meine derbe Wortwahl begründen. Die Hauptdarstellerin sagt selbst zu dem Piloten, der wie üblich nach dem Motto „In jedem Städtchen ein Mädchen“ wohl noch weitere Geliebte hat: „Ich ficke nur mit dir“. Das ist das Niveau des Filmes, seine Sprache, das sind seine Mittel, mit denen die Beziehung der beiden dargestellt werden. Ausnahmsweise begebe ich mich auf dieses Niveau und möchte so schon fast handgreiflich deutlich machen, mit welchen ästhetischen Mitteln der Film arbeitet. Ganz bewusst habe ich hier auf eine distanzierte Meta-Sprache verzichtet, die den Autor allzu leicht zu einer beschönigenden Beschreibung verleitet. Man fragt sich schon fast, ob es rein lebensweltlich gesehen noch irgendwelche andersgestaltete Beziehungen gibt, oder ob Radu Jude wie viele Regisseure heute nichts anderes mehr darstellen und inszenieren kann.* Allerdings würde wohl die differenzierte Darstellung eines weniger klischeehaften Privatlebens zumindest diesen Film überdehnen und überfordern.

Der Film wurde von verschiedenen Festivals abgelehnt, und ich denke, ich habe verdeutlichen können, woran das liegen könnte. In Karlsbad bekam er dann einen Preis. Ob man den Film dann letztlich als Dokumentarfilm betrachtet, oder wie einige französische Journalisten als Spielfilm ansieht, erscheint mir genau genommen sekundär. Zugegebenermaßen kann man aber einem Spielfilm eine lückenhafte Information über zeitgeschichtliche Ereignisse eher verzeihen als einem Dokumentarfilm.

Der Autor hätte gerne mit Ioana Jacob, die er von einigen Besuchen in Timisoara und von Gastspielen des Deutschen Staatstheaters in Karlsruhe her persönlich kennt, einige der aufgeworfenen Fragen persönlich diskutiert, und er hätte gerne ihre Antworten hier berücksichtigt und eingearbeitet, aber sie hat nun mal nicht auf die Emails des Autors geantwortet.

*NB: Das lässt mich, etwas querdenkend, an den  Film „Touch me not“ denken, der das Verhältnis zum Körper nur noch in einer klinischen Studie thematisieren kann, wie schon von der Filmkritik bemerkt wurde.

Foto: Alexandru Dabija und Ioana Jacob,  Copyright: Mihai Chitu

 

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