„Rosita“ in Bologna
Lubitsch’s erster in den USA gedrehter Film hat ein berühmt-berüchtigtes Schicksal. Über den Film kam es zu einem Zerwürfnis zwischen dem Regisseur und dem damals bereits bestens etablierten Superstar Mary Pickford.
Sieht man den Film, versteht man auch sofort warum. Mary Pickfords übliches Rollenklischee – das sanfte, kindhafte, unschuldige und vollkommen entsexualisierte Mädchen / Wesen – interessierte Lubitsch offenbar nun gar nicht. Die „Rosita“ der Mary Pickford erscheint auf den ersten Blick (allerdings wirklich nur auf den ersten) wie eine Fortsetzung der „Carmen“, die bekanntlich von Pola Negri gespielt wurde. Carmen nicht viel nachstehend, hat die Straßensängerin Rosita viel von einer femme fatale: erotisch anziehend, launisch und temperamentvoll verdreht sie gerne den Männern den Kopf. Eine Rolle, die gut und gerne auch mit Pola Negri hätte besetzt werden können, – (oder besser: mit Pola Negri besetzt werden sollen?), die schließlich gleichzeitig mit Ernst Lubitsch in die USA gekommen war.
Eine weitere Parallele zum Carmen-Stoff ergibt sich aus dem Ort der Handlung: Sevilla. Lubitsch lässt die Handlung in der Karnevalszeit spielen, was ihm Gelegenheit zu vielen Massenszenen gibt – wegen der gelungenen Massenszenen nicht nur in „Carmen“ sondern z. B. auch in „Madame Dubarry“ war er schließlich in die USA geholt worden.
Damit sind die Parallelen zu Carmen vorerst erschöpft, sieht man von einer Schlüsselszene des Films ab, dazu kommen wir gleich.
Der Film spielt in einem Staat, der von einem lächerlichen Despoten (Holbrook Blinn) beherrscht wird, dessen vorrangiges Interesse seinen Frauengeschichten gilt. Lubitsch entwirft ein Ambiente, das an Stroheims Filme denken lässt, allerdings wird es nicht zur Tragödie kommen, sondern das Ganze vordergründig versöhnlich enden.
In Sevilla zur Karnevalszeit sind die Sitten locker, was selbst dem Despoten zu weit geht, so dass er sich eines Tages selbst nach Sevilla begibt. Gelegentlich wird er sich sogar incognito unters Volk mischen. In Sevilla ist die Straßensängerin Rosita der Liebling der Massen, durch die Anwesenheit des Königs wird sie gestört und ihr Verdienst geschmälert, mit dem sie ihre gesamte Familie ernähren muss.
Wie in „Carmen“ ist es auch in „Rosita“ eine Szene, in der die Straßensängerin durch Gesang und Tanz einem Mann den Kopf verdreht; Rosita betört einen maskierten Zuhörer und zwingt ihn zum Mitsingen. Es ist niemand anders als der König. Vorher schon hatte sich ein Hauptmann in sie verliebt, und das führt nun zu dem eigentlichen dramatischen Konflikt des Films – den aber Lubitsch am Ende mit einer geschickten Wendung zu einem Happy End bringt.
In Bologna (2018) waren etliche Zuschauer von „Rosita“ enttäuscht. Diese Reaktion lässt sich erklären bzw. wird sie verständlich, wenn man Ernst Lubitsch vor allem als den Regisseur der Komödien der Tonfilmzeit kennt, von Meisterwerken wie „Ninotschka“ oder „To be or not to be“, der Erwartungshorizont dadurch bestimmt ist und dem Zuschauer bzw. der Zuschauerin insbesondere die Kenntnis der deutschen Stummfilme von Ernst Lubitsch fehlt. Wer die deutschen Stummfilme von Ernst Lubitsch kennt, weiß, dass er durchaus nicht nur Komödien gedreht hat, sondern eben auch Kostümfilme wie „Sumurun“, „Anna Boleyn“ „Die Augen der Mumie Ma“ oder „Das Weib des Pharao“. Es gibt sogar einen Aufsatz von Lubitsch, in dem er das offenbar schon damals gegenüber den Komödien weniger erfolgreiche Genre der Kostümfilme verteidigt hat.
Nur werden diese Kostümfilme heute noch weniger gezeigt und gesehen als die Komödien; es sind in der Mehrzahl Filme, die durch ihren Exotismus charakterisiert sind, in denen sich eine spezifische Sichtweise des Orients manifestiert
Ferner gehören auch „Madame Dubarry“ und letztlich auch „Carmen“ zum Genre der Kostümfilme; beide Filme bestechen wie schon gesagt durch ihre Massenszenen und nicht wenig durch das oft outrierte aber doch noch überzeugende Spiel Pola Negris. Allerdings hat Lubitsch die Hauptrolle in „Rosita“ eben nicht mit Pola Negri besetzt, sondern mit Mary Pickford. Und das blieb nicht ohne Folgen.
Für das amerikanische Publikum dürfte aber wohl entscheidend gewesen sein, dass die Rolle Mary Pickfords so überhaupt nicht den Erwartungen des Publikums entsprach. Selbst das Plakat bereitet den Zuschauer nicht vor auf eine Mary Pickford, die eine frivole Straßensängerin spielt, sondern zeigt eine naive und und unschuldig mädchenhafte Mary Pickford. Gut möglich, dass diese Vorstellung beim amerikanischen Publikum auch heute noch virulent vorhanden ist und die Rezeption erheblich beeinflusst.
Mary Pickford war mit dem Film nicht zufrieden, und insbesondere nicht mit der Art, wie sie hier spielen musste. In der Folge sorgte sie, und nach ihrem Tod die Mary-Pickford-Foundation dafür, dass der Film nur noch sehr selten zur Aufführung kam, denn die Mary-Pickford-Foundation versuchte, möglichst viele Kopien vom Markt verschwinden zu lassen.
Inzwischen hat man sich das anders überlegt. Die Stiftung hat gemeinsam mit dem MoMa ausgehend von einer Nitratkopie aus dem Gosfilmofond, Moskau, eine Restauration des Films unternommen.
In einem Video auf Youtube behauptet der Kurator des Momas, Dave Kehr, allen Ernstes, er hätte einen verlorenen Film restauriert (der Titel des Videos lautet „Restoring a lost silent film / How to see „Rosita“ starring Mary Pickford with Dave Kehr“). Das ist nichts als ein Marketing-Bluff, denn in einschlägigen Quellen lässt sich leicht feststellen, dass weltweit mehrere Kopien des Films existieren. Man darf annehmen, dass hier das liebe Geld die wesentliche Ursache spielt, um die Rolle des MoMas und seine Rettung eines vermeintlich verlorenen Films in glänzendem Licht erscheinen zu lassen.
Denn das MoMa erklärt an anderer Stelle, dass die Nitratkopie aus Moskau inzwischen im MoMa gelagert wird. Ob das MoMa diese Kopie nur zur Lagerung erhalten oder eventuell sogar gekauft hat, wird nicht gesagt. Jedenfalls lässt sich jedes Filmarchiv teuer bezahlen, bevor es eine Nitratkopie aus der Hand gibt. Wir wollen nicht wissen, wieviel Geld an Gosfilmofond geflossen ist, bevor die Nitratkopie das Moskauer Archiv verlassen hat. Jedenfalls muss das MoMa offenbar das Bedürfnis verspürt haben, sich selbst und seine Rolle bei der Restaurierung bedeutend zu überhöhen.
© Foto: Sammlung Josef Jünger