Komödien, Slapstick und das Komische überhaupt

 

Einige nur halbwegs geordnete Gedanken

Dieser Text wurde ursprünglich als Einführung zum Thema des 19. Stummfilmfestivals Karlsruhe geschrieben und für die Veröffentlichung im Blog „Sinn und Cinema“ leicht geändert bzw. überarbeitet.

Unter Literaten und Künstlern bzw. Literatinnen und Künstlerinnen gilt das komische Genre mit seinen verschiedenen Ausformungen als schwieriger in der Produktion als die ernsten Stoffe, also Tragödien. Nichts leichter als einen Konflikt durchzuziehen und am Ende ein paar Tote auf die Bühne zu legen oder im Roman wirkmächtig vom Leser bzw. der Leserin finden zu lassen.  In der Komödie muss nicht nur das Sujet stimmen, sondern auch die Umsetzung. Von einer Komödie erwarten wir keine langatmige Handlung mit uns quälenden Verzögerungen und lange absehbaren Peripetien sondern Kurzweil und Tempo. Dann gibt es auch große Unterschiede zwischen den einzelnen komischen Genres; wir kennen anspruchsvolle Komödien, die eher ernsthafte Dramen darstellen, und nur deswegen zu den Komödien zu rechnen sind, weil am Ende alles gut ausgeht und der Konflikt keine Todesopfer gefordert hat, sondern vielleicht nur den oder die Protagonisten zu einer Entscheidung geführt hat – nicht selten zu einer Eheschließung –, die ihm oder ihr bzw. ihnen schwer gefallen ist. Genau dieses Problem, mit dem der Protagonist oder die Protagonistin zu kämpfen hatte, und mit den damit verbundenen Entscheidungen, ließ uns die Protagonisten oft lächerlich erscheinen. Nehmen wir z. B. Molières „Misanthrope“ , so sehen wir deutlich, wie sich der Protagonist windet, wie schwer es ihm fällt, der geliebten Frau seine Liebe zu gestehen.  Genau dadurch wirkt er jedoch „lächerlich“. Hier entsteht das Komische durch den Verstoß gegen die eine oder andere gesellschaftliche Norm; jedoch sind diese Verstöße nicht so gravierend, dass sie (tödliche) Konflikte hervorrufen – ganz im Gegenteil, die Verstöße, und die Menschen, die sie begehen, erscheinen uns lächerlich – und im Lachen lösen sich die Konflikte und werden vergeben.

Es gibt keine einheitliche, übergreifende Theorie des Komischen. Und neben der hier angedeuteten Theorie, die das Komische auf soziale aber lösbare Konflikte zurückführt, gibt es auch die sozusagen körperlich orientierte Theorie von Michail Bachtin, die das Komische vollkommen anders definiert. Sehr körperlich nämlich: komisch – oft schon fast austauschbar in Bachtins Denken  mit dem Begriff des Grotesken – wirkt auf uns das,  was von der Körperlinie abweicht. Als Beispiel könnte aus der Literatur Gogols „Die Nase“ genannt werden, aber ich bleibe lieber beim Film und verweise auf die Figuren in Boris Barnets Filmen, insbesondere auf die sehr hagere und auffällige Figur Vladimir Fogels. Beim 19. Stummfilmfestival wird der Film „Das Mädchen mit der Hutschachtel“ zu sehen sein – man könnte genauso Barnet „Das Haus in der Trubnaja-Straße“ oder auch Pudowkins „Schachfieber“ anführen. Während es sich bei Barnets Filmen immer um Komödien handelt, in die Situationskomik nur selten eingestreut ist, stellt Pudowkins Film eines der seltenen  Beispiele eines Slapstick-Films aus der Zeit des Sozialismus dar. Pudowkin wurde dafür auch heftig kritisiert. … Aber zurück zu Barnet bzw. zu Bachtin: Die Hutschachtel selbst, die das Mädchen fast ständig mit sich herumträgt, wirkt in ihrer grotesken Größe wie  eine Art der Erweiterung ihrer Körperlinie.

Auf zwei komische Genres wurde beim 19. Stummfilmfestival aus guten Grund mehr oder weniger vollständig verzichtet: Satire und Parodie. Nun enthalten viele Komödien, wenn sie sich über gesellschaftliche Zustände oder auch Personen lustig machen, typische Elemente der Satire, also Übertreibungen, Ironie usw. Reine Satiren sind aber in der Stummfilmzeit eher selten. Dagegen gab es relativ viele Parodien, also Nachahmungen mehr oder weniger berühmter Vorlagen aus der Literatur, dem Theater oder schon aus der noch so jungen Kinematographie. Allerdings hat dieses Genre unter dem an sich schon starken Verlusten – bekanntlich sind ca. 80% der Stummfilmproduktion unwiederbringlich verloren – besonders gelitten, denn Komödien und Parodien galten künstlerisch gesehen nicht viel, wurden meistens als Zweiakter gedreht, am Anfang des Programms gespielt – und je erfolgreicher sie waren, desto schneller waren die Kopien verbraucht und wurden eingeschmolzen. Zu Parodien der Stummfilmzeit gibt es meines Wissens so gut wie keine wissenschaftliche Arbeit, gerade weil die Quellenlage so schlecht ist. Das Stummfilmfestival Karlsruhe plant jedoch mittelfristig ein Programm mit Parodien zu spielen, und wird dabei immer die Vorlage und deren Nachahmung präsentieren, also z. B. „Intolerance“ von D. W. Griffith und „The Three Ages“ von Buster Keaton; leider eine Parodie, die ihrer Vorlage weit unterlegen ist. Allerdings gibt es auch gelungene Gegenbeispiele wie z. B. „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ mit John Barrymore, auf das sich die Parodie mit Stan Laurel und Oliver Hardy mit dem Titel „Dr. Pyckle and Mr. Pride“ bezieht. Auch in Deutschland entstanden Film-Parodien. Im Filmmuseum München liegt eine Kopie eines Filmes, der eine Faust-Parodie darstellt: es handelt sich um „Doktor Satansohn“ von Edmund Edel, 1916 entstanden; niemand anders als Ernst Lubitsch spielt den Doktor Satansohn, der Frauen ewige Jugend verspricht, allerdings unter einer nicht einzuhaltenden Bedingung: Kussverbot …  Leider existiert der Film nur in einer Archiv-Kopie, so dass er nur an  FIAF-Mitglieder ausgeliehen und entsprechend selten zu sehen ist. Auch in dem Film „Homunkulieschen“ könnte man eine Parodie von „Homunculus“ vermuten – mit Geschlechterrollenwechsel als Mittel der Parodisierung. Nach der Beschreibung auf wikipedia handelt es sich aber wohl um eine Komödie, die den populären Stoff nur benutzt, ohne sich darüber lustig zu machen.
Ich möchte hier nicht zu sehr in eine gattungstheoretische Diskussion abgleiten, aber zur Verdeutlichung sollte klar gesagt werden, dass die Parodie eine Rezeptionsform anderer Werke darstellt. Das ergibt sich schon aus der Bedeutung des griechischen Wortes παρῳδία parōdía „Gegenlied“ oder „verstellt gesungenes Lied“. Die Satire ist dagegen eine Darstellungsform, die durch entsprechende formale Mittel charakterisiert ist (siehe oben).  Und selbst verständlich greift  die Parodie durchaus zu satirischen Mitteln, wenn sie sich über eine Vorlage lustig macht. 

Dieser Abschnitt ist jetzt länger geraten als beabsichtigt, die Leserinnen und Leser mögen es mir verzeihen … das Thema interessiert mich.

Der im ersten Abschnitt dargelegte Ansatz führt in aller Regel zu Dramen, die als Charakterkomödien verstanden werden können, weil die Konflikte aus der sozialen Situation und der charakterlichen Disposition der Figuren entstehen. Und solche Komödien gibt es auch im Film, gerade viele der besten Stummfilmkomödien von Ernst Lubitsch sind hierher zur rechnen. Das gilt auch für den Eröffnungsfilm des Festivals „The Marriage Circle“ (Die Hochzeit im Kreise). Wir haben es in etwa zu tun mit den Wahlverwandtschaften des Kinos. Während es bei Lubitsch schon nach wenigen Szenen zu Beginn des Films klar ist, dass hier die falschen miteinander verheiratet sind, ist das bei dem schwedischen Film „Erotikon“ von Mauritz Stiller wesentlich vertrackter. Dabei haben wir ein ganzes Panoptikum verschiedener typischer Figuren vor uns: der ältere, leicht vergessliche Professor mit einem ausgefallenen Forschungsinteresse, seine junge Gattin, die verschiedene Verehrer, Termine im Modegeschäft usw. erfolgreich managt, die Haushälterin, die die kulinarischen Vorlieben des Professors genau kennt usw. Ganz fein sind die Abweichungen von den sozialen Regeln gesponnen, so dass der Film sich viel Zeit lässt, um das Komische der Situation zu entwickeln, die schließlich nur um Haaresbreite an einer Katastrophe vorbei schlittert. Auch auf großen Stummfilmfestivals hat es längere Zeit gebraucht, bis das hochgebildete Publikum zu Lachen begann. Es sei hier gesagt: „Erotikon“, diese „sophisticated comedy“, war der Lieblingsfilm von Ernst Lubitsch. Nicht von diesem selbst mitgeteilt, sondern von Billy Wilder erst nach dem Tod von Ernst Lubitsch in einem Interview verraten.

Es dürfte aus der vorangehenden Darstellung vielleicht indirekt deutlich geworden sein, wie wichtig mir die Unterscheidung von Komödie und Slapstick ist. Dabei hätte ich gerne für Slapstick den älteren Begriff der „Burleske“ verwendet, aber das könnte gerade beim deutschen Publikum zu Missverständnissen führen. Im französischen Sprachraum werden die Slapsticks immer noch als „burlesques“ bezeichnet, und auch im Englischen ist der Begriff noch geläufig. Hier haben wir es mit reiner Situationskomik zu tun. Der Protagonist oder die Protagonistin stolpern von einer Dämlichkeit zur nächsten. Mit irgendeinem sozialen Konflikt hat das wenig zu tun; die Figur ist halt so angelegt. Die Mack-Sennett-Polizisten sind selten ungeschickt und selten dumm; mit irgendeiner Wirklichkeit hat das absolut nichts zu tun. Wir erlauben uns trotzdem, darüber zu lachen. Nicht selten ist die Dramaturgie der Filme hanebüchen schlecht oder gar nicht vorhanden. Gag reiht sich an Gag, und es zählt nur die Phantasie, mit der sich vielleicht jemand etwas Neues ausgedacht hat. Natürlich hatten auch diese Filme im Kino ihren Platz; das Programm begann gewöhnlich mit ihnen, denn nach einem lustigen Film ist man fröhlich aufgeregt und will mehr sehen. Wenn dann das abschließende Melodram mit einer (Wasser-)Leiche zu Ende gegangen ist, will das Publikum nach Hause.

Chaplin? Chaplin ist ein Sonderfall, und das ist wohl das Geheimnis seines Erfolges. Die Figur des Tramps ist eben nicht nur oberflächlich komisch. Sie hat Tiefgang, sie ist sozial determiniert als der ewige sozial Benachteiligte, der sich mit List und Tücke durch den Alltag „schlägt“ – das ist sehr oft keine Metapher, sondern wird ganz konkret. Und so erhalten selbst die schon oft gesehenen Tortenschlachten durchaus eine gewisse Bedeutung, z. B. in „Die Rollschuhbahn“. Allerdings ist der Tramp manchmal auch grausam und fast schon asozial anarchisch. Dazu liefert eine der ersten Szenen in „The Cure“ ein gutes Beispiel, wenn der Tramp den Fuß des Gichtkranken in der Drehtür einklemmt.

Komödie und Slapstick wurden während der Stummfilmzeit auch von den Filmregisseuren deutlich voneinander getrennt. Leider scheint dieses Wissen heute selbst bei einigen  Stummfilmexperten und – expertinnen zum Teil in Vergessenheit geraten zu sein. Anders kann ich mir die Präsentation entsprechender Programmreihen auch auf großen Festivals nicht erklären. Zur Klärung des Unterschiedes zwischen Komödie und Slapstick möchte ich aus dem von Julius Urgiss verfassten Künstlerprofil Ernst Lubitschs – heute würden von einem Interview sprechen – zitieren,  das in der Fachzeitschrift „Der Kinematograph“ erschien. Julius Urgiss benutzt den Begriff der Filmgroteske genau für das, was wir heute „Slapstick“ nennen.

„Lubitsch ist eine Individualität. Seine Domäne ist das Komische bis zum Grotesken. Er sieht darin zwei verschiedene Richtlinien. Bei der Filmgroteske ist jede Unmöglichkeit erlaubt, die Logik darf vollständig ausgeschaltet werden, beim Filmlustpiel hingegen muss die Handlung logisch aufgebaut sein. Eine Verquickung beider Arten ist künstlerisch ganz unmöglich. In beiden Arten aber ist Lubitsch Meister, und viele Beispiele hat er uns gegeben, die das dokumentieren.“

aus: Der Kinematograph, Nr. 505, 30. August 1916

Man wird vielleicht eine einschränkende Anmerkung machen:  Im Film „Die Bergkatze“ gibt es gerade die hier als künstlerisch unmöglich bezeichnete Verquickung von Elementen der Groteske oder Burleske, also des Slapsticks, mit der Filmkomödie. Denn „Die Bergkatze“, die wir schon mehrfach beim Stummfilmfestival Karlsruhe präsentiert haben, enthält eindeutig Slapstick-Elemente. Eines der schönsten und komischsten ist die Treppenszene mit Pola Negri und Harry Liedtke. Sie treibt die Handlung in keiner Weise voran und ist an sich vollkommen sinnfrei. Wie das so oft beim Slapstick der Fall ist.

Abbildung oben: Plakatausschnitt „Boireau, roi de la boxe“, Pathé 1912

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