Frühes Kino in Karlsruhe

Vorbemerkung

Der folgende Text ist eine erweiterte Fassung des Textes, der in „Blick in die Geschichte – Karlsruher stadthistorische Beiträge“, Nr. 135, am 17. Juni 2022 veröffentlicht wurde. Der Text möchte die ersten Jahre des frühen Kinos in Karlsruhe darstellen; also die Zeit nach den ersten Filmvorführungen im Dezember 1895 in Paris bis hin zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Diese Zeitspanne versteht die Filmwissenschaft allgemein als „Frühes Kino“.

Darüberhinaus soll auch der historiographische Aspekt der lokalen Filmgeschichte beleuchtet werden, also wie die lokale Filmgeschichte der Stadt Karlsruhe bis heute erforscht und aufgearbeitet wurde.

Diese beiden grundlegenden Aspekte des Textes werden jeweils miteinander verschränkt, so dass sich eine vielleicht komplexe Darstellungsweise ergibt.

Die ersten Filmvorführungen in Karlsruhe

Die ersten Filmvorführungen in Karlsruhe fanden am 5. September 1896 und den folgenden Tagen statt. Schon bald nach der Erfindung des Kinematographen und den ersten Vorführungen schickte die französische Firma Pathé Kameraleute durch fast ganz Europa, so dass in den meisten deutschen Großstädten im Laufe des Jahres 1896 es zu ersten Filmvorführungen kam. Die Kameras, mit denen aufgenommen wurde, waren so beschaffen, dass mit ihnen die Filme auch projeziert werden konnten.

Anzeige im Karlsruher Tagblatt, Nr. 243, 1. September 1896

So sah der Großherzog von Baden bei einer Ausstellung in Stuttgart die Filme der Fa. Pathé und lud die Kameraleute darauf hin nach Karlsruhe ein. Die Filmvorführungen fanden dann ab dem September 1896 im heute nicht mehr existierenden Stadtgartentheater statt.

Sehr lange Zeit waren die Daten dieser ersten Aufführungen nicht bekannt – das galt nicht nur für Karlsruhe, sondern auch für viele andere deutsche Städte. Allerdings gab es an einigen Orten eine intensive Erforschung der lokalen Kinokultur und auch des Frühen Kinos, so z. B. in Berlin, in Hamburg, in München und auch in Köln.

In Karlsruhe dagegen waren die frühen Jahre des Kinos lange Zeit in einen Nebel gehüllt, in den erst eine Publikation von Martin Loiperdinger Licht brachte. Im Rahmen der Recherchen für das 1999 erschienene Buch „Film und Schokolade“ wurden auch in Karlsruhe intensive Recherchen durchgeführt, so dass die Daten der ersten Filmvorführungen durch Zeitungsanzeigen nachgewiesen werden konnten.

Diese Publikation blieb in Karlsruhe jedoch unbeachtet, bis der Trägerverein des Stummfilmfestivals Karlsruhe „Déjà Vu – Film e.V.“ bei seiner Gründung im September 2008 auf die Daten der ersten Filmvorführungen hinwies; die BNN berichteten darüber.

Link zum Bericht der Badischen Neuesten Nachrichten über die Vereinsgründung: BNN, 4. September 2008

Die Zeit der Wanderkinos

Wie ging es nach den ersten Filmvorführungen weiter?. Die letzten Jahre vor der Jahrhundertwende und die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren die Zeit der Wanderkinos. Wie Schausteller zogen die Besitzer der ambulanten Kinos von einer Stadt zur nächsten und zeigten die Filme, die sie damals übrigens in der Regel kaufen mussten, in ihren Kinos. Das vielen bekannte Verleihsystem entstand erst Jahre später. Auch die Filme wurden noch nicht so genannt, sondern als „Lebende Bilder“ präsentiert, wie auf einer Postkarte von der Karlsruher Messe aus dem Jahr 1901 gut zu erkennen ist. In Karlsruhe waren die Wanderkinos regelmäßig zwei Mal im Jahr vor Ort, und zwar eben zur Frühjahrs- und zur Herbstmesse. Die Aufführungen wurden oft auch in der Presse angekündigt, meistens aber ohne Nennung der Titel.

Dennoch wissen wir ziemlich genau, welche Wanderkinos wann in Karlsruhe waren und was sie zeigten. Damit wenden wir uns wieder dem historiographischen Aspekt zu. In Karlsruhe selbst gab es dazu keine systematische Forschung; das wäre wohl auch zu aufwendig gewesen. In einem Projekt der Gesamthochschule Siegen, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wurde die Zeitschrift „Der Komet“ der Schausteller, in der die Wanderkinos ihre Programme und ihre Aufenthaltsorte veröffentlichten, ausgewertet, so dass wir heute über eine Datenbank verfügen und tatsächlich nachprüfen können, welches Wanderkino bei welcher Messe gastierte. Dieses Projekt wurde ab 2002 unter Leitung von Prof. Klaus Kreimeier durchgeführt und schuf damit wesentliche Voraussetzungen für eine Erforschung der frühen Kinogeschichte.

Erste ortsfeste Kinos in Karlsruhe

Kommen wir zurück zur Entwicklung in Karlsruhe. Die Beliebtheit der Filmvorführungen nahm ständig zu, die Nachfrage stieg, es kam Mitte des ersten Jahrzehnts zu häufigeren Filmvorführungen an verchiedenen Orten und in verschiedenen Lokalitäten der Stadt, z.B. im Cabaret „Colosseum“. Die Gründung eines ortsfesten Kinos lag in der Luft und ließ nicht lange auf sich warten.

Im Laufe des Jahres 1907 veranstaltete die Freiburger Firma Weltkinematograph Filmvorführungen in Karlsruhe. Die Firma war primär eine Produktionsgesellschaft, die vor allem dokumentarische Filme drehte wie z. B. „Durchs Albtal nach Sankt Blasien“ (dieser Film hat sich in der Sammlung des niederländischen Filmmuseums erhalten). Die Freiburger Firma gründete darüberhinaus eine ganze Kette von Kinos. Das geschah dann auch Anfang des Jahres 1908 in Karlsruhe. Über dieses Kino war bisher wenig bekannt, weil es aus der Gründungszeit keine Bauakten gibt. Man darf bzw. muss annehmen, dass dieses Kino ohne Baugenehmigung entstand, weil es nämlich noch gar keine Vorschriften für Kinos gab. Das Kino befand sich in dem Gebäude Kaiserstraße 133 direkt neben der Kleinen Kirche. Vermutlich wurden einfach existierende Geschäfte und/oder Läden zum Kino umgewandelt. In der Kinogeschichte hat sich für diese Art Kinos, die es praktisch in allen Städten gab, der Begriff „Ladenkino“ eingebürgert. Das Kino hieß zuerst Weltkinematograph, später Weltkino. Bauakten sind erst für ein späteres Datum bekannt, als ein Antrag auf einen Umbau eingereicht wurde.

Gleichzeitig hatte der Hofbäcker Otto Alban Kasper angefangen, in einem Theater Filme zu zeigen. Und er beschloss, in einem neuen Gebäude ein Kino einzurichten. Dieses Kino, das Residenztheater, wurde das erste Kino in Karrlsruhe, das auch als solches geplant war.

Die Geschichte des Residenztheaters ist gut dokumentiert worden durch Gerhard Bechtold in seinem Buch „Schauplätze“ aus dem Jahr 1987. Die Publikation reihte sich ein in eine lange Liste von Studien, die der Entstehung und Entwicklung lokaler Kino- und Filmkulturen gewidmet waren. Allerdings waren die Bedingungen für filmwissenschaftliche Forschungen zu dieser Zeit mehr als schwierig. Das dürfte auch implizit aus den oben aufgeführten Publikationen hervorgehen, die eigentlich erst die Grundlagen für eine fundierte Filmwissenschaft liefern sollten, und alle erst später entstanden. Deswegen kann Gerhard Bechtold kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er die Daten der ersten Filmvorführungen in Karlsruhe nicht finden konnte. Leider entstand jedoch hier in Karlsruhe der falsche Eindruck, die lokale Filmgeschichte hätte erst so recht mit dem Bau des Residenztheaters angefangen , sozusagen schon fast aus dem Nichts.

Das kollektive Gedächtnis und seine zweifelhaften Quellen

Damit ich nicht missverstanden werde, möchte ich zu der Art und Weise, wie dieser Eindruck entstand, etwas ausholender Stellung nehmen. Wenn man so will, kann man die Publikationen und die Arbeit des Stadtarchivs als „offizielle Historiographie“ der Stadt Karlsruhe bezeichnen. Neben dieser offiziellen gibt es aber noch eine Historiographie, die sich über vielerlei andere Kanäle und Medien manifestiert. So entsteht das, was ich hier „kollektives Gedächtnis“ nennen möchte.

Hinsichtlich der Historiographie des Frühen Kinos in Karlsruhe waren dies sporadische Artikel insbesondere in der lokalen Zeitung der Stadt Karlsruhe, also in den Badischen Neuesten Nachrichten, ebenso wie in der von der Stadtverwaltung herausgebenenn Beilage zum wöchentlich erscheinenden kostenfreien „Kurier“.

Ein erstes Beispiel möchte ich anführen: Am 30. August 1986 schrieb Alexander Kohlhaas* in den Badischen Neuesten Nachrichten einen Artikel mit der Überschrift „Als die Bilder in Karlsruhe laufen lernten“. Und im Untertitel hieß es: „Erste Filmvorführungen im „Apollo“-Varieté-Theater.“ Hier der Link zum Artikel in den BNN, 30. August 1986.

Alexander Kohlhaas bezieht sich im Artikel explizit auf das zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichte Buch von Gerhard Bechtold. Meiner Ansicht nach lassen die Ausführungen von Bechtold jedoch nicht den Schluss zu, dass es sich bei den Aufführungen im Apollo-Theater tatsächlich um die ersten Filmvorführungen in Karlsruhe handelte. Vielmehr handelt es sich bei den angegebenen Quellen (Zeitungsannoncen) eher um Zufallsfunde und nicht um das Ergebnis systematischer Recherchen.

Umso problematischer ist die Veröffentlichung eines solchen Artikels, der dann auch tatsächlich zumindest im kollektiven Gedächtnis jener hängen blieb, die sich in Karlsruhe intensiv mit Kino-Kultur beschäftigten (den Autor miteingeschlossen). Und diese Auffassung, dass es sich bei den erwähnten Aufführungen um die ersten in Karlsruhe handeln würde, wurde dann auch mehr oder weniger ausgeprägt mit der Publikation von Gerhard Bechtold in Verbindung gebracht.

NB: als dann  das Apollo-Theater in ein reines Kino umgewandelt wurde, bekam es den Namen „Schauburg“, die jetzt das älteste existierende Kino in Karlsruhe ist.

Ein weiteres Beispiel wird zur Zeit noch recherchiert.

Nimmt man diese Besipiele zusammen, kann sich nur der Eindruck verstärken, den ich oben beschrieben habe: im kollektiven Gedächtnis der cineastisch interessierten Menschen waren lange Zeit verschiedene Daten für die ersten Filmvorführungen hängen geblieben. Und es hat dann auch etwas längere Zeit gedauert und einige Anläufe erfordert, bis die tatsächlichen Daten der esten Aufführungen allgemein und auch der offiziellen Historiographie bekannt waren.

Zurück zu der Publikation von Gerhard Bechtold:

Zur Zeit seiner Untersuchung Bechtolds war es sicher angebracht, sich auf die vorhandenen Bauakten zu stützen, um die Zeit am Ende des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts darzustellen. Ein Kino wie der Weltkinematograph geriet dabei jedoch zwangsläufig nicht in den Blick des Historiographen.

Ich hoffe, dass meine bisherige Darstellung verdeutlicht, dass es eine kontinuierliche Entwicklung von den ersten Filmvorführungen auf den Messen bis hin zu den Kinogründungen im ersten und zweiten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts gab. Das gilt es festzuhalten.

Vor der Zeitenwende des Ersten Weltkriegs

In der Folge entstanden dann bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges weitere Kinos, so dass es lt. den Unterlagen im Stadtarchiv zu dieser Zeit sieben Kinos gab (in Klammern die Zahl der Sitzplätze, diese Angabe aus dem Jahr 1917):

Kaiserkinematograph, Kaiserstraße 5  (180)

Weltkinematograph, Kaiserstraße 133  (128)

Zentralkinotheater, Karl-Friedrich-Str. 26 (100)

Palast-Lichtspiele, Herrenstraße 11  (373)

Residenz-Theater, Waldstraße 30  (304)

Luxeum, Kaiserstraße 168‘  (276)

Metropoltheater, Schillerstr. 26.

Die Palast-Lichtspiele verdienen besondere Beachtung. Schon der Namen sollte verdeutlichen, dass sich dieses Kino an die höheren Schichten der Karlsruher Bevölkerung wandte, und so waren die Palast-Lichtspiele in der Herrenstraße, ungefähr gegenüber der jetzigen Badischen Beamtenbank, das erste Kino  in Karlsruhe, das über eine Empore verfügte.

Für die Filmgeschichtsschreibung geht die Zeit des Frühen Kinos mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges zu Ende. Das Jahr 1914 bedeutete in mancher Hinsicht eine Zäsur, die sich jedoch mit voller Schärfe erst im Laufe des Krieges bemerkbar machte. Die Zeit der Programme, die sich aus mehreren kurzen bis mittellangen Filmen zusammensetzte, neigte sich ihrem Ende zu. Es kamen immer mehr lange Spielfilme ins Kino, wie wir es auch heute noch kennen. Durch den Kriegsaussbruch wurde die Einfuhr ausländischer Filme weitgehend verboten, das betraf vor allem französische Filme, die bis Kriegsausbruch einen wesentlichen Anteil an den Programmen inne gehabt hatten. Für die deutsche Filmindustrie bedeutete das eine Chance, denn die Konkurrenz war weggefallen. Allerdings brachte der Krieg auch erhebliche Produktions- und Distributionseinschränkungen mit sich.

Der Stand der Dinge

Abschließend möchten wir wieder den Blick auf den historiographischen Aspekt lenken. Wie auch in anderen Städten eröffnete ein prominentes Jubiläum, in Karlsruhe war es  der 300. Stadtgeburtstag, eine Gelegenheit, die lokale Kino- und Filmgeschichte weiter zu erforschen. Das Stadtarchiv veröffentlichte einen Bildband zur Stadtgeschichte, der auch die Geschichte der Kinos berücksichtigte. Darüberhinaus konnte mit großzügiger Unterstützung der Stadt Karlsruhe und der Medien- und Filmgesellschaft des Landes Baden-Württemberg das Jahr 1915 detalliert erforscht werden. Es entstand eine Untersuchung, die es ermöglicht, die sehr generellen Thesen der Filmgeschichtsschreibung an der lokalen Sitution zu überprüfen. Die Untersuchung hat alle Filmvorführungen in Karlsruhe im Jahr 1915 erfasst, so weit sie über Zeitungsannoncen publiziert worden waren. Die Daten sind sämtlich in der Geman Early Cinema Data Base erfasst und auch jederzeit zugänglich (https://earlycinema.dch.phil-fak.uni-koeln.de/)   Andererseits zeigte die Unterschung auch die Grenzen der Historiographie auf: Von den Filmvorführungen der Kinos, die keine oder nur unregelmäßig Zeitungsanzeigen schalteten, ist jedes Wissen verloren gegangen.

Ein erforderlicher Nachtrag

Die Ausstellung der Kinemathek und des Museums für Literatur am Oberrhein im Jahr 2008

Vorbemerkung zum letzten Teil

Der begrenzte Platz, der für diesen Text in den stadthistorischen Beiträgen zur Verfügung stand, und der formale Aufbau des Artikels ließen es nicht zu, auf die Ausstellung im Jahr 2008 einzugehen, obwohl sie in mehrfacher Hinsicht einen problematischen Platz in der Historiographie der lokalen Kino- und Filmkultur einnimmt. Deswegen ist es erforderlich, einige Details relativ ausführlich darzustellen.

Eine nachträgliche Lektüre des folgenden Abschnitts ließ mich erkennen, dass ich mich vermutlich dem Vorwurf aussetze, ich würde hier „schmutzige Wäsche“ waschen. In gewisser Weise ist das vielleicht berechtigt, aber ich hätte auf die Darstellung dieser Ausstellung ganz verzichten müssen, denn fragmentarisch vorgebracht, wäre meine Kritik unverständlich und nicht nachvollziehbar geblieben.

Ein bestimmter Aspekt, den ich schon erwähnt habe, lässt sich nur durch die von mir vorgenommene Darstellung ins rechte Licht rücken: Das ist die notwendige Korrektur des von dem Leiter der Kinemathek und seiner Lebensgefährtin geschaffenen Narrativs. Bei zwei weiteren Vorgangen wurde von der Kienamthekskleitung ebenfalls ein Narrativ in die Welt gesetzt, das nach meinen Informationen falsch ist. Das ist erstens der Untergang des Film und Videofestivals Cinevideo, das Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre stattfand, und zweitens die Insovlenz und das Ende des Kurbelkinos – das sich im gleichen Gebäude befand wie das Kino der Kinemathek An der Entsehung von Cinevideo war ich selbst beteiltigt, und somit von den weiteren Ereringnisse auch Betroffener und verfüge darüberhianaus über Informationen, die das von der Kinemathek in die Welt gesetzte Narrativ als falsch erweisen würden; vom zweiten Vorgang habe ich allderdings keine ausreichenden Detailskenntniss,üum die teiilweise kolportierten schlimmen Ereignisse und persönlichen Konseqnezen hinreichend belegen zukönnen.

Auch diese beiden Vorgänge sind Teil der lokalen Kinogeschichte – aber ich möchte es doch bei der Darstellung der Ausstellung von 2008 belassen.  

Wer die Karlsruher lokale Kinogeschichte kennt, wird vermutlich sofort wissen, dass mit der Ausstellung an die Gründung der Residenz-Lichtspiele im Jahr 1908 erinnert werden sollte. Aber wäre es nicht viel sinnvoller gewesen, an die ersten Filmvorführungen in Karlsruhe zu erinnern, die 1896 stattfanden? War das Datum der ersten Filmvorführungen in Karlsruhe damals der Kinemathek nicht bekannt? Wir können diese Frage nicht eindeutig beantworten, halten es aber für möglich. Denn die Kinemathek hatte mit Professor Martin Loiperdinger bei der Vorbereitung der Ausstellung Kontakt aufgenommen. Dies erfuhren wir von Martin Loiperdinger selbst, als wir mit ihm zusammen die Ausstellung besuchten. Allerdings hatte die Kinemathek den Kontakt mit Prof. Martin Loiperdinger nicht weiter verfolgt.

Und so feierte die Kinemathek, wie schon gesagt, mit dieser Ausstellung die Gründung der Residenz-Lichtspiele im Jahr 1908 und verstärkte damit die verbreitete und im kollektiven Gedächtnis manifeste Ansicht, dass die Karlsruher Kinogeschichte so recht eigentlich erst im Jahr 1908 begonnen hätte.

Selbstverständlich gab es in der Ausstellung keinen Hinweis auf die ersten Filmvorführungen in Karlsruhe im Jahr 1896; das älteste Dokument in der Ausstellung war die Postkarte, die wir hier über dem Tiel abgebildet haben.

Prof. Martin Loiperdinger und der Autor dieses Textes waren gleichermaßen enttäuscht wie irritiert; der Autor, der die Ausstellungsmacher und – macherinnen sowie die Verantwortlichen kannte, war mehr oder weniger fassungslos.

Die Kinemathek hatte es verpasst und versäumt, sehr öffentlichkeitswirksam den Zeitpunkt der ersten Filmvorführungen in Karlsruhe bekannt zu machen.

Sicher war die Einrichtung der Ausstellung für die Kinemathek und ihr kleines Team eine große Herausforderung gewesen. Eine Publikation, einen Ausstellungskatalog, gab es nicht. Später erfuhren wir dann, dass eine Publikation sehr wohl geplant gewesen war und kurz vor der Fertigstellung gestanden hatte. Die Kinemathek hatte sich gegen die Veröffentlichung gesperrt.

Einige Jahre später bereiteten wir trotz heftiger Widerstände der Kinemathek die Erforschung des Jahres 1915 unter dem Titel „Kino in Karlsruhe vor 100 Jahren“ für den Stadtgeburtstag im Jahr 2015 vor. Eines Tages fand im Kulturamt der Stadt Karlsruhe ein Krisengespräch statt, an dem Verteter der Kinemathek, der Stadt Karlsruhe und des Trägervereins des Stummfilmfestivals Karlsruhe teilnahmen.

Im Laufe des Gesprächs wurde von unserer Seite aus gefragt, ob wir die nicht-veröffentlichte Publikation der Ausstellung im Jahr 2008 für unsere Vorbereitung verwenden könnten. Daraufhin bestritt Alfred Meyer, der damalige Leiter der Kinemathek, schlicht die Existenz dieses unveröffentlichten Materials. Dem Vertreter des Kulturamtes musste Alfred Meyer auf Nachfrage seine Behauptung wiederholen.

Wir verfügten damals jedoch über Informationen aus einer sehr zuverlässigen Quelle, so dass hier nur festgehalten kann, dass Alfred Meyer trotz besseren Wissens die Existenz der unveröffentlichen Publikaton verneinte. Diesen Sachverhalt kann man auch anders formulieren.

Zum wiederholten Male stellte sich beim Autor eine gewisse Fassungslosigkeit her, obwohl er schon über reichhaltige, ähnlich gelagerte Erfahrungen mit dem Leiter der Kinemathek verfügte.

Letztendlich kann es hier aber nicht um die Erfahrungen des Autors mit dem damaligen Leiter der Kinemathek gehen. Das Problematische ist, bzw. war vielmehr, dass Alfred Meyer eine sachdienliche Erforschung der lokalen Kinokultur seinen partikularen Interessen unterordnete. Ob er darüberhinaus seine partikularen Interessen mit den Interessen der Kinemathek Karlsruhe gleichsetzte, entzieht sich dem Urteil des Autors.

Das Ergebnis war, dass die Ausstellung wie Schall und Rauch am Karlsruher Publikum vorüber ging. Wer kann sich noch an sie erinnern? Wenn wenigstens die geplante Publikation erschienen wäre – allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass eine Publikation, die bereits vorhandene wichtige Erkenntnisse und den damaligen Stand der Forschung nicht berücksichtigt hätte, von zweifelhaftem Wert gewesen wäre. Sie hätte zum wiederholten Male das kollektive Gedächtnis der Stadt Karlsruhe mit Falsch- oder zumindest lückenhaften Informationen bedient.

Links zu Berichten der Badischen Neuesten Nachrichten über die Ausstellung: BNN, 12. Februar 2008, BNN, 23. Februar 2008.

 

* Wir haben bisher auch mit Hilfe der BNN keinen Kontakt zu Alexander Kohlhaas herstellen und ihn fragen können, ob er  mit der Veröffentlichung einverstanden ist.

 

Einige Literaturhinweise:

Martin Loiperdinger, Film und Schokolade, Frankfurt, 1999

Thomas Elsaesser, Filmgeschichte und Frühes Kino, München, 2002

Michael Töteberg, Filmstadt Hamburg, Hamburg 1990

Gerhard Bechtold, KINO – Schauplätze in der Stadt, Karlsruhe, 1987

Katalog 13. Stummfilmfestival Karlsruhe, „Geschichte und Film“, 2015

Josef K. Jünger

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